Observatorium 1000+

Bürgerwissenschaften

Den Bürgern der Region wird eine Einrichtung zur Verfügung gestellt, die es ihnen unabhängig von Alter und Bildungsgrad ermöglicht, eigene wissenschaftliche Arbeiten durchzuführen. Mit den Mitteln, die heute den Amateurastronomen zur Verfügung stehen ist es möglich, Beiträge zur aktuellen wissenschaftlichen Forschung zu leisten.

Wissenschaft – für viele Menschen bedeutete dieser Begriff: „das machen andere, das bin nicht ich, dafür muss man studiert haben, Wissenschaft benötigt den universitären Betrieb...“.
Dieses Bild der Wissenschaft galt jedoch nicht immer. In früheren Zeiten waren die Bürgerwissenschaften eher die Regel. Erst mit der Spezialisierung der Wissenschaften und der Entwicklung des modernen universitären Wissenschaftsbetriebs wurde die Wissenschaft den Bürgern entfremdet. Gerade im Bereich der Naturwissenschaften war diese Entwicklung zu sehen, wohingegen die Geisteswissenschaften noch verbreitet außeruniversitär betrieben wurden.

In den letzten Jahrzehnten kam es jedoch zu einem Wiedererstarken der Bürgerwissenschaften auch in der Naturwissenschaft. Durch die Entwicklung der Mikroelektronik, die eine Vielzahl technischer Möglichkeiten eröffnet und das Internet, welches die Vernetzung und den Austausch der Akteure vereinfacht, ist hier eine interessante Entwicklung zu beobachten.

In der astronomischen Arbeit stehen den Amateuren heute Messinstrumente zur Verfügung, welche die „hochwissenschaftlichen“ Instrumente, die Profis vor wenigen Jahren zur Verfügung standen, zum Teil bei weitem übertreffen. Hier ist die Entwicklung der Sensortechnik von digitalen Fotoapparaten besonders hervor zu heben. In Verbindung mit leistungsfähigen Computern und modernen Programmen, die von Amateuren für Amateure geschrieben wurden, sind in der Astronomie dem Bürgerwissenschaftler viele Möglichkeiten gegeben, einen Beitrag zu leisten.

Beispiele sind die Suche nach Exoplaneten, sowie die Folgebeobachtungen von durch Forschungssatelliten gefundenen Exoplaneten.
Spektroskopische Messungen ermöglichen die Erforschung der Radialgeschwindigkeiten benachbarter Sterne und deren Systeme.
Die Suche nach LowSurfaceBrightness Galaxien in der kosmischen Nachbarschaft unserer Milchstraße. Diese, in Kooperationen mit Profiastronomen durchgeführten Projekte liefern derzeit schon Erkenntnisse über Massenverteilung und Gezeitenwirkungen über unsere intergalaktische Nachbarschaft hinaus.
"Our results show the potential of amateur telescopes in discovering more dwarf galaxies in the Local Volume, which enables us to further test models of galaxy formation and evolution outside the Local Group." (DGSAT 2016)

M31, M32, M110 und zahlreiche schwache, weit entfernte Galaxien
Erfolgreicher Test mit Teilen der angestrebten Instrumentierung. Auf Bild klicken zum Vergrößern

Durch ein zur Verfügung gestelltes Objektiv konnten Testaufnahmen an unserem Standort durchgeführt werden. Das dabei abgebildete Areal zeigt unsere direkte Nachbargalaxie M31 in Andromeda mit ihren beiden prominenten Begleitgalaxien M32 und M110, sowie eine Vielzahl sehr schwacher Hintergrundgalaxien.
Wie die Aufnahme zeigt, lassen sich, am Beispiel der Galaxie PGC2199828, eindeutig Galaxien mit Flächenhelligkeiten 24,8 mag/arcsec² detektieren. Das ist, trotz der kurzen Gesamtbelichtungszeit von 20 Minuten, nur 19 mal unempfindlicher als die besten konventionellen Teleskope in einigen Stunden Belichtungszeit schaffen:
"However, deep imaging surveys with standard reflecting telescopes typically reach surface brightness levels of 'only' about 28 mag/arcsec2" (Abraham and Dokkum 2014)
Dieses Ergebnis aus unserem schnellen Test ermutigt uns sehr und bestärkt uns in unserer Überzeugung, als Amateure substanziell zur aktuellen Forschung beitragen zu können.

Die Astronomie bietet eine Vielzahl interdisziplinärer Projekte. Neben den beobachtenden und messenden Arbeiten verschmelzen die Fachgebiete Optik, Feinmechanik, Maschinenbau, Elektronik und Informatik.

Dadurch ist die Astronomie auch für die Makerszene ein interessantes Spielfeld. Etliche der in der Amateurastronomie zum Einsatz kommenden Instrumente wurden von Makern (allgäuerisch Mächeler) entwickelt oder verbessert. Derzeit ist eine Entwicklung hin zur Automatisierung und Vernetzung der Amateurastronomischen Einrichtungen zu sehen, ein fließender Prozess, der etliche Aufgaben bereithält.
Mit dem Observatorium 1000+ der Volkssternwarte Kempten wird eine Institution errichtet, die es den Bürgern ermöglicht, unabhängig von Alter und Bildungsgrad astronomische Arbeiten durch zu führen.
Die Institution wird durch den Remotebetrieb (Fernbedienbarkeit) barrierefrei von zu Hause aus benutzbar und somit auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten am Wochenende, bei jeder nächtlichen Wolkenlücke in Bereitschaft stehen.
In Anlehnung an das Konzept der Offenen Werkstätten wird diese Institution für alle offen stehen, die sich aus eigenem Antrieb und Interesse an die astronomische Arbeit machen wollen. Die Volkssternwarte Kempten als Betreiber und ihre Mitglieder, stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Weiterführende Links:
http://www.buergerschaffenwissen.de/citizen-science/was-ist-citizen-science/
http://tbg.vdsastro.de/
https://www.galaxyzoo.org/
https://www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-1224.html
http://www.univie.ac.at/brite-constellation/gbot/cooperations/
DGSAT: https://arxiv.org/abs/1511.04446 und https://arxiv.org/abs/1703.05356